• Beschreibung:
Orang-Utan ist ein treffender Name für den grossen, rotzotteligen Menschenaffen, der auf den indomalaiischen Inseln Sumatra und Borneo zu Hause ist. Der indonesische Begriff orang hutan bedeutet nämlich «Waldmensch», und tatsächlich hält sich der menschenverwandte Affe in seiner Heimat ausschliesslich in den tropischen Regenwäldern auf.
Unzählige Legenden umwuchern den Orang-Utan. Eine besonders hübsche befasst sich mit der Herkunft des «Waldmenschen». Sie berichtet von zwei vogelähnlichen Kreaturen, welche die Schöpfer allen Lebens waren. Die beiden schufen alle möglichen Arten von Tieren. Als sie schliesslich den Menschenmann und die Menschenfrau ins Leben gerufen hatten, waren sie auf ihr Werk so stolz, dass sie ein grosses Fest veranstalteten. Tags darauf wollten sie noch mehr Wesen von dieser Sorte herstellen. Aber nach den Ausschweifungen der vorangegangenen Nacht vergassen sie eine wichtige Zutat - und heraus kam der Orang Utan.
Von den Wissenschaftlern der westlichen Welt wurde der Orang-Utan vor rund 200 Jahren entdeckt. Gesicherte Kenntnisse über sein Leben in freier Wildbahn blieben jedoch bis in die jüngste Zeit hinein Mangelware. Im Verlauf der letzten 20 Jahre wurde allerdings ausgiebige Feldforschung betrieben, weshalb der Orang-Utan heute zu den bekannteren Affenarten zu zählen ist.
Der Orang-Utan (Pongo pygmaeus) ist der grösste asiatische Affe und weltweit das grösste baumlebende Tier. Erwachsene Männchen erreichen eine Standhöhe bis 137 cm und ein Gewicht von 60 bis 90 kg. Die Weibchen sind deutlich kleiner und wiegen nur etwa halb so viel.
Orang-Utans haben ein ebenso grosses Gehirn wie Schimpansen und Gorillas, und zahme Individuen erreichen bei Intelligenztests ebenso hohe Punktzahlen wie jene. Diese grosse Leistungsfähigkeit des Gehirns ist zweifellos auf den präzisen Orientierungssinn und das gute Gedächtnis für den Fruchtzyklus der verschiedenen Regenwaldbäume zurückzuführen.
Die erstaunliche Intelligenz des Orang-Utans hat den amerikanischen Zoologen Gary Shapiro dazu bewogen, einem jungen, zahmen Orang-Utan-Weibchen namens «Princess», das man auf die Auswilderung vorbereitete, die amerikanische Zeichensprache «Ameslan» beizubringen. In seiner Station verkehrten die auszuwildernden Orang-Utans ungehindert mit ihren wildlebenden Artgenossen, und Shapiro hoffte, Princess könnte ihm später über die Tätigkeiten der freilebenden Orang-Utans berichten. Obschon Princess sich als gelehrige Schülerin erwies und sich einen beachtlichen Wortschatz aneignete, plauderte sie leider nie «aus der Schule». So sind wir denn weiterhin auf die mühselige Kleinarbeit der Feldforscher angewiesen, um Näheres über die Lebensweise der «Roten Affen» zu erfahren.
Orang-Utans haben nur wenige natürliche Feinde. Junge Tiere scheinen mitunter einem Nebelparder oder einem Python zum Opfer zu fallen, und es gibt Hinweise darauf, dass ältere, gebrechliche und darum hauptsächlich bodenlebende Männchen manchmal von Rothund- oder Wildschweinrudeln angefallen, getötet und gefressen werden. Davon abgesehen haben die «Waldmenschen» in ihrem Reich hoch über dem Urwaldboden kaum etwas zu befürchten...
...wenn der Mensch nicht wäre! Von alters her wird der «Rote Affe» von den Eingeborenen seines Fleischs wegen oder zum Beweis der Männlichkeit bejagt. In jüngerer Zeit wurden zudem vielfach Orang-Utan-Mütter erschossen, um an ihre Jungen zu gelangen und diese dann als Heimtiere anzubieten. Das strikte Verbot des fatalen Babyfangs und -handels in Indonesien wie in Malaysia haben diese Unsitte erfreulicherweise stark eingeschränkt. Und auch die überhandnehmende Bejagung des Orang-Utans konnte dank wirksamem Vollzug der Naturschutzgesetze wesentlich eingedämmt werden.
Eine mächtige Gefahr für den Orang-Utan stellt aber der Verlust seines natürlichen Lebensraums dar. Sowohl auf Sumatra als auch auf Borneo werden Jahr für Jahr weite Flächen tropischen Regenwalds gerodet, um den Hunger der westlichen Welt nach Edelhölzern und denjenigen der ansässigen Bevölkerung nach landwirtschaftlichen Anbauflächen zu stillen. Im Norden und im Osten Borneos fielen zudem ausgedehnte Waldgebiete den verheerenden Waldbränden während der Dürrejahre 1983 und 1987 zum Opfer.
Neueren Forschungsergebnissen zufolge sind die Orang-Utans glücklicherweise nicht ganz so selten, wie früher angenommen wurde. Die Bestandsdichten liegen - je nach Lebensraumqualität - zwischen ein und fünf Tieren je Quadratkilometer, und der Gesamtbestand in freier Wildbahn dürfte mehr als 100 000 Tiere umfassen. Trotzdem bleibt aber die Zukunft der «Waldmenschen» ungewiss, denn man schätzt, dass infolge der ungebremsten Zerstörung ihres Lebensraums etwa 5000 von ihnen jährlich dem Untergang geweiht sind. In Naturschutzkreisen ist man sich seit geraumer Zeit bewusst, dass - solange der Regenwald nicht vernünftiger genutzt und behandelt wird - die einzige Chance zur Erhaltung der Orang-Utans darin besteht, möglichst grosse Teile ihres Lebensraums als Reservate unter Schutz zu stellen.
Mehrere solcher Naturschutzgebiete konnten sowohl in Indonesien als auch in Malaysia bereits eingerichtet werden. Schätzungsweise 20 000 Tiere leben heute innerhalb geschützter Waldgebiete. Grössere Orang-Utan-Populationen finden sich vor allem im Gunung Leuser-Nationalpark auf Sumatra, ferner in den Reservaten Gunung Palung, Tanjung Puting, Bukit Raya und Kutai im indonesischen Teil Borneos. Im malaysischen Teil Borneos bieten hauptsächlich das Lanjak-Entimau-Reservat und der Kinabalu-Nationalpark den örtlichen Orang-Utan-Beständen sichere Zuflucht.
In Malaysia und in Indonesien wurden im Verlauf der letzten 20 Jahre mehrere Wiederausbürgerungs-Stationen errichtet, um junge Orang-Utans, die illegal als Heimtiere gehalten worden waren, wieder an das Leben in freier Wildbahn zu gewöhnen. Diese Stationen, welche gleichzeitig als Zentren für Umwelterziehung dienen, haben sehr erfolgreich die Aufmerksamkeit der Einheimischen auf die Schutzbedürftigkeit dieser prächtigen Menschenaffen gelenkt. Die wenigsten der Tiere auf den Stationen schafften aber den «Sprung» zurück in die Wildnis.
Bereits seit den sechziger Jahren unterstützt der Welt Natur Fonds (WWF) die Anstrengungen Indonesiens und Malaysias zur Erhaltung ihrer Orang-Utan-Bestände. Mit seiner fachlichen und finanziellen Hilfe wurden Feldstudien unternommen, Rehabilitationsstationen aufgebaut und neue Reservate eingerichtet. Unter anderem trug der WWF wesentlich zur Langzeituntersuchung der Tiere im Tanjung-Puting-Reservat im südlichen Borneo bei, die nunmehr ins 19. Jahr geht! Hier sammelt ein Team von Feldbiologen unter der Leitung von Birute Galdikas mittlerweile Daten über die Grosskinder der zu Beginn der Studie beobachteten Individuen. Dieses aufwendige Projekt lässt uns nicht nur den Roten Affen besser verstehen, sondern liefert uns nicht zuletzt wichtige Erkenntnisse über unsere eigene Stellung in der Ordnung der Primaten.